Der „Bau-Turbo“: § 246e BauGB im Fokus – Chancen und Risiken

Startseite » Aktuelles » Der „Bau-Turbo“: § 246e BauGB im Fokus – Chancen und Risiken

Mit dem neuen „Bau-Turbo“ reagiert der Gesetzgeber auf die Wohnraumknappheit

Der Gesetzgeber reformiert mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung, dem sogenannten „Bau-Turbo“, zentrale Vorschriften des Baugesetzbuchs (BauGB), um die Schaffung von Wohnraum zu erleichtern. Der neue § 246e BauGB sowie Änderungen in § 31 BauGB und § 34 BauGB sollen flexiblere Bauvorhaben ermöglichen – schafft aber auch neue rechtliche Unsicherheiten.

Problem: Zu wenig Baugrundstücke

Herausforderungen des bisherigen Planungsrechts

In vielen Städten und Gemeinden fehlen bebaubare Grundstücke und bezahlbarer Wohnraum. Häufig sind zwar Flächen vorhanden. Diese sind aber häufig aus rechtlichen Gründen nicht bebaubar, weil diese beispielsweise nicht im Anwendungsbereich eines Bebauungsplans oder im unbeplanten Innenbereich liegen. Zwar kann „Baurecht“ durch entsprechende Maßnahmen geschaffen werden, etwa durch einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan. Die bisherigen planungsrechtlichen Verfahren gelten jedoch als komplex, langsam und restriktiv. Überdies sind diese häufig teuer. Besonders schwierig war bislang die Bebauung an den Rändern bestehender Baugebiete oder in größeren Baulücken, die durch Grünflächen oder unbebaute Grundstücke getrennt sind.

In diesen Fällen ist § 34 BauGB (Bauen im unbeplanten Innenbereich) oft nicht einschlägig, weil sich das Grundstück eben nicht mehr in dem im Zusammenhang bebauten Ortsteil liegt. Eine Bebauung ist dann nur über die Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans möglich. Dieses Verfahren dauert häufig Monate oder Jahre und erfordert zahlreiche formale Schritte, Beteiligungen und Prüfungen. Für viele Gemeinden mit begrenzten personellen Ressourcen wurde dies zum Hemmnis für neue Wohnprojekte.

Zielsetzung des Bau-Turbo

Das Problem hat auch der Gesetzgeber erkannt. Deshalb möchte er mit dem „Bau-Turbo“ will der Gesetzgeber Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Herzstück ist der neue § 246e BauGB. Er erlaubt für eine befristete Zeit Abweichungen von zentralen bauplanungsrechtlichen Vorschriften, wenn die Gemeinde dem Vorhaben zustimmt. Dadurch soll insbesondere im Innenbereich, aber auch in Randlagen, schneller Baurecht geschaffen werden – ohne Bebauungsplan.

Daneben wurden auch bestehende Regelungen, etwa zu Befreiungen nach § 31 Abs. 3 BauGB und zu neuen Festsetzungsmöglichkeiten in Bebauungsplänen, erweitert. Ziel ist es, die Schaffung von Wohnraum zu erleichtern und innovative städtebauliche Lösungen zu fördern. Außerdem wurde mit § 34 Abs. 3b BauGB ein neuer Ansatz geschaffen, der mehr Flexibilität im unbeplanten Innenbereich zulässt.

Neue Gesetzeslage nach dem „Bau-Turbo“

§ 246e BauGB – Flexible Abweichungsmöglichkeiten

Mit dem „Bau-Turbo“-Gesetz soll der neue § 246e BauGB eingeführt werden. Gemeinden sollen dann im Einzelfall für Wohnbauvorhaben von den Regelungen des Baugesetzbuchs, der Baunutzungsverordnung oder von Festsetzungen bestehender Bebauungspläne zulassen. Durch diese geplanten Einzelfallentscheidungen erhalten die Gemeinden mehr planerische Freiheit. Die Regelung gilt befristet bis Ende 2030.

Laut Gesetzesbegründung versteht sich § 246e BauGB als „Experimentierklausel“. Er soll dort greifen, wo Planungsverfahren zu starr oder zeitaufwendig sind. Besonders profitieren sollen Bauvorhaben in Randlagen und Flächen, die bisher wegen planungsrechtlicher Hürden unbebaut blieben. Mit Zustimmung der Gemeinde kann nun auch ohne vorherige Planaufstellung gebaut werden.

Die Gemeinden sollen damit kurzfristig auf Wohnraumbedarfe reagieren können. Zugleich bleibt die Vorschrift auf Wohnnutzung beschränkt – etwa Neubauten, Erweiterungen oder Nutzungsänderungen. Öffentliche Belange und Nachbarrechte dürfen nicht unzumutbar beeinträchtigt werden, Umwelt- und Immissionsschutzrecht gelten weiter. Trotzdem entfällt oft die Pflicht zu umfassenden Planverfahren mit Umweltprüfung und Abwägung.

Für viele Bauvorhaben in großen Baulücken oder am Rand eines Bebauungszusammenhangs soll künftig kein neuer Bebauungsplan mehr erforderlich sein. Die Entscheidung erfolgt auf Gemeindeebene. Hierdurch sollen Baugenehmigungsverfahren und Bauvorhaben beschleunigt werden.

Weitere Änderungen im BauGB durch den „Bau-Turbo“

Erweiterte Befreiungsmöglichkeiten nach § 31 Abs. 3 BauGB

Die Befreiungstatbestände wurden zugunsten von Wohnbauvorhaben ausgeweitet. Gemeinden können künftig leichter Befreiungen von Festsetzungen eines Bebauungsplans gewähren – etwa zur Geschossigkeit, bebaubaren Grundstücksfläche oder Bauweise. Diese Erleichterung gilt, wenn das Vorhaben zur Deckung des dringenden Wohnraumbedarfs beiträgt.

Neuer § 34 Abs. 3b BauGB

Eine zentrale Neuerung ist der neue § 34 Abs. 3b BauGB. Er erleichtert die Beurteilung von Wohnbauvorhaben im unbeplanten Innenbereich, wenn sie in räumlichem Zusammenhang mit bestehenden Wohnbauflächen stehen. Nach alter Rechtslage scheiterte die Zulässigkeit oft am Einfügungsgebot. Jetzt kann ein Vorhaben zulässig sein, wenn es der Wohnraumschaffung dient, städtebaulich vertretbar ist und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar bleibt.

Die Vorschrift erweitert damit den Spielraum des § 34 BauGB. Gemeinden können Randlagen flexibler entwickeln und grenzwertige Flächen zwischen Innen- und Außenbereich besser nutzen. Gerade für kleinere und mittlere Kommunen bietet das Chancen für die Nachverdichtung.

Innovative Lärmschutzfestsetzungen

Neu eingeführt wurden auch besondere Festsetzungsmöglichkeiten für Lärmschutz in Bebauungsplänen. Gemeinden können künftig Konzepte vorsehen, die Wohnbebauung in der Nähe von Gewerbe oder Verkehr erlauben. Dazu gehören lärmunempfindliche Gebäudeteile, Schallschutzfassaden oder bauliche Abschirmungen. In begründeten Fällen darf sogar von der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) abgewichen werden.

Diese Neuerungen sollen die städtebauliche Entwicklung fördern, Flächenpotenziale erschließen und Planungsflexibilität erhöhen. Laut Gesetzesbegründung stehen dabei kommunale Entscheidungshoheit und beschleunigter Wohnungsbau im Vordergrund.

Kritik und Ausblick

Kritische Einordnung des § 246e BauGB

Die Einführung des § 246e BauGB wird unterschiedlich bewertet. Befürworter loben die neue Flexibilität und die Chance, Verfahren zu beschleunigen. Kritiker sehen jedoch erhebliche Rechtsunsicherheiten. Der Wortlaut des Gesetzes verwendet viele unbestimmte Rechtsbegriffe: Mit Zustimmung der Gemeinde kann „in einem erforderlichen Umfang“ abgewichen werden, wenn „öffentliche Belange nicht entgegenstehen“ und „nachbarliche Interessen gewahrt bleiben“. Diese offenen Formulierungen schaffen Spielräume – aber auch Konfliktpotenzial.

Unklar ist auch, wann die Gemeinde eine Zustimmung zu erklären hat.

Da § 246e BauGB als „Kann-Regelung“ ausgestaltet ist, entscheidet jede Gemeinde selbst im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens über deren Anwendung. Das kann zu einer regional unterschiedlichen Genehmigungspraxis führen. Manche Kommunen könnten aktiv neue Projekte zulassen. Andere könnten aus Vorsicht oder Ressourcenmangel zurückhaltend bleiben. Zudem können zahlreiche Behörden Einwendungen geltend machen – vom Naturschutz über Lärmschutz bis zur Verkehrsplanung. Das kann das Ziel der Beschleunigung konterkarieren.

Ein weiteres Risiko liegt in der möglichen Zersiedelung. Auch wenn § 246e BauGB den Zusammenhang mit bestehenden Bauflächen fordert, bleibt die Grenze zum Außenbereich unscharf. Jede Abweichungsentscheidung verlangt daher eine sorgfältige Dokumentation, um spätere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

Auch die erleichterten Befreiungsmöglichkeiten, der neue § 34 Abs. 3b BauGB und die neuen Lärmschutzfestsetzungen werden in der Fachwelt ambivalent bewertet. Zwar können sie die Wohnraumentwicklung in schwierigen Lagen erleichtern, doch bergen sie auch Konfliktpotenzial. Die Aufweichung des Einfügungsgebots nach § 34 BauGB und die erleichterte Abweichung von Bebauungsplänen könnten zu Spannungen mit dem Ortsbildschutz und mit nachbarlichen Belangen führen. Die neuen Festsetzungsmöglichkeiten für Lärmschutzkonzepte sind städtebaulich innovativ, setzen aber eine sorgfältige planerische Umsetzung voraus, um nicht in Konflikt mit bestehenden Gewerbenutzungen oder Lärmgrenzwerten zu geraten.

Ob der „Bau-Turbo“ tatsächlich zündet, hängt daher maßgeblich davon ab, wie Gemeinden und Genehmigungsbehörden mit den neuen Freiräumen umgehen. Sicher ist schon jetzt: Die offene Formulierung der Norm und die Vielzahl möglicher Abwägungen schaffen erhebliche Unsicherheiten und damit einen erheblichen Beratungsbedarf.

Fazit

Ob der „Bau-Turbo“  zu mehr Wohnungsbau führt, hängt von der Praxis der Gemeinden und Behörden ab. Die neuen Vorschriften schaffen große Freiräume und Chancen, aber auch Unsicherheit. Gemeinden müssen abwägen, wie sie diese Möglichkeiten nutzen, ohne rechtliche Risiken einzugehen.

Für Bauherren und Bauherrinnen, Investoren und Kommunen wird es entscheidend sein, frühzeitig zu prüfen, ob ein Vorhaben in den Anwendungsbereich dieser neuen Vorschriften fällt und ob die Voraussetzungen erfüllt sind.

Unsere Kanzlei berät Sie umfassend – von der Prüfung der planungsrechtlichen Voraussetzungen über die Begleitung von Antragsverfahren bis hin zur Abwehr oder Durchsetzung von Einwendungen. Der „Bau-Turbo“ eröffnet neue Chancen, verlangt aber fundierte rechtliche Steuerung. Wir unterstützen Sie dabei, diese neuen Möglichkeiten sicher und effektiv zu nutzen.

Privacy Overview

This website uses cookies so that we can provide you with the best user experience possible. Cookie information is stored in your browser and performs functions such as recognising you when you return to our website and helping our team to understand which sections of the website you find most interesting and useful.