FAQs zur Arbeitszeiterfassung. Alle Fragen und Antworten.

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Am 13. September 2022 hat das Bundesarbeitsgericht (1 ABR 22/21) entschieden, dass Arbeitgeber in Deutschland zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet sind.

Bisher waren Arbeitgeber nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz nur zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet, soweit die werktägliche Arbeitszeit 8 Stunden überschritten bzw. an Sonn- und Feiertagen gearbeitet wird (§ 16 Abs. 2 ArbZG). Lediglich für geringfügig Beschäftigte (§ 17 Abs. 1 MiLoG), bestimmte Brachen (z.B. Bau, Gastro, Spedition, Security, § 2a SchwarzArbG) oder bei Arbeitnehmerüberlassung (§ 19 Abs. 1 AEntG) gab es bisher eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung.

Da derzeit noch unklar ist, wann der Gesetzgeber flankierende Regelungen zur Arbeitszeiterfassung verabschiedet, haben wir die derzeit drängendsten Fragen einmal für Sie als FAQs zur Arbeitszeiterfassung beantwortet:

  1. Was hat das BAG mit Urteil vom 13.09.2022 entschieden?
  2. Womit begründet das BAG seine Entscheidung?
  3. Wann muss ein Arbeitgeber tätig werden?
  4. Was muss der Arbeitgeber nun tun?
  5. Was genau muss aufgezeichnet werden?
  6. Gilt die Aufzeichnungspflicht auch für leitende Angestellte und Geschäftsführer?
  7. Wie und wann muss die Arbeitszeit erfasst werden?
  8. Darf der Arbeitgeber die Zeiterfassung an seine Mitarbeiter delegieren?
  9. Kann (weiterhin) Vertrauensarbeitszeit vereinbart werden?
  10. Was gilt bei mobiler Arbeit?
  11. Drohen Bußgelder für den Arbeitgeber?

1. Was hat das BAG mit Urteil vom 13.09.2022 entschieden?

Das BAG hat entschieden, dass Arbeitgeber in Deutschland verpflichtet sind, ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Dabei reicht es nicht aus, ein solches Erfassungssystem nur zur Verfügung zu stellen. Vielmehr muss der Arbeitgeber dafür Sorge tragen, dass dieses System auch tatsächlich angewendet wird.

2. Womit begründet das BAG seine Entscheidung?

Das BAG beruft sich auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14.05.2019 (C-55/18), wonach die Mitgliedstaaten zur Gewährung der vollen Wirksamkeit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88) verpflichtet wurden, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.“

Da der deutsche Gesetzgeber diese Vorgaben nicht umgesetzt hat, ist ihm nun das BAG nun zuvorgekommen. Als Einfallstor hat das BAG § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG herangezogen. Dieser lautet wie folgt:

„Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben.“

Diese Regelung hat das BAG unter dem Lichte der europäischen Arbeitszeitrichtlinie und den Vorgaben des europäischen Gerichtshofes dahingehend ausgelegt, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, „ein System zur Erfassung der von ihren Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzuführen, das Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Überstunden umfasst.“

3. Wann muss ein Arbeitgeber tätig werden?

Mit seiner Entscheidung vom 13.09.2022 hat das BAG festgestellt, dass die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung bereits besteht. Sie ist also geltendes Recht und muss sofort umgesetzt werden.

4. Was muss der Arbeitgeber nun tun?

Der Arbeitgeber muss ein Arbeitserfassungssystem einführen, dass objektiv, verlässlich und zugänglich ist. Wichtig ist, dass das Erfassungssystem nicht nur zur Verfügung gestellt sondern dessen korrekte Anwendung auch tatsächlich vom Arbeitgeber überprüft wird.

5. Was genau muss aufgezeichnet werden?

Der deutsche oder europäische Normgeber hat zum Inhalt der Arbeitszeitdokumentation noch keine konkreten Vorgaben gemacht.  Das BAG hat in seinem Urteil vom 13.09.2022 aber ausdrücklich eine Verpflichtung des Arbeitgebers festgestellt, „Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden“ zu erfassen.

Ob auch die einzelnen Pausen aufgezeichnet werden müssen, ist nicht klar und wird möglicherweise vom deutschen Gesetzgeber noch konkretisiert werden. Derzeit darf aber vermutet werden, dass Beginn und Ende der einzelnen Pausen nicht konkret erfasst werden müssen. So wird es auch bei bereits bestehenden Arbeitszeit-Aufzeichnungspflichten gehandhabt, z.B. bei der Aufzeichnungspflicht für geringfügig Beschäftigte gemäß § 17 Abs. 1 MiLoG.

Es dürfte also weiterhin zulässig sein, dass eine Zeiterfassungssoftware die gesetzlichen Mindestzeiten für Pausen automatisch abzieht, ohne dass diese konkret vom Arbeitnehmer angegeben werden müssen.

6. Gilt die Aufzeichnungspflicht auch für leitende Angestellte und Geschäftsführer?

Ob die Aufzeichnungspflichten derzeit auch für leitende Angestellte und Geschäftsführer gelten, ist nicht ganz klar.

Da die europäischen Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88) den Begriff des Arbeitnehmers nicht definiert, wird bei ihrer Auslegung auf den durch den EuGH geprägten Arbeitnehmerbegriff abgestellt. Hiernach wären jedenfalls Fremdgeschäftsführer Arbeitnehmer und von den Aufzeichnungspflichten erfasst. Allerdings darf der nationale Gesetzgeber Ausnahmen vorsehen für „leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis“ (Art. 17 lit. a) RL 2003/88/EG). Hiervon hat der deutsche Gesetzgeber in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitszeitgesetz Gebrauch gemacht und hat u.a. leitende Angestellte (und Chefärzte) vom Arbeitszeitgesetz ausgenommen.

Ob diese Ausnahmen aus dem Arbeitszeitgesetz auch für die Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung gilt, darf bezweifelt werden. Schließlich stellt das BAG in seiner Entscheidung vom 13.09.2022 nicht auf das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) sondern auf § 3 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchuG) ab. Das Arbeitsschutzgesetz gilt hingegen (anders als das ArbZG) für alle Arbeitnehmer, auch für leitende Angestellte. Legt man insoweit wiederum den europäischen Arbeitnehmerbegriff zugrunde, werden sogar Fremdgeschäftsführer erfasst.

Zwar wird das Urteil des BAG vom 13.09.2022 teilweise so interpretiert, als habe das Gericht bei seiner Entscheidung auf die „unter das Arbeitszeitgesetz Fallenden“ abgestellt, sodass auch für die Aufzeichnungspflichten die Ausnahmen des § 18 ArbZG gelten. Diese Auffassung lässt sich aber m.E. mit der Begründung der Entscheidung des BAG vom 13.09.2022 nicht vereinbaren. Im Gegenteil: Das BAG führt hierzu aus, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung „alle in ihrem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer iSd. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG“ trifft. Zwar gelte auch hier Art. 17 lit. a) RL 2003/88/EG, wonach der nationale Gesetzgeber bestimmte Arbeitnehmer hiervon ausnehmen kann. Die im Arbeitszeitgesetz (§ 18 ArbZG) von deutschen Gesetzgeber bezeichneten Ausnahmen (u.a. leitende Angestellte und Chefärzte) seien hier jedoch „nicht einschlägig„. Vielmehr habe der deutsche Gesetzgeber von seiner Möglichkeit, Ausnahmen auch für die Verpflichtungen gemäß § 3 Arbeitsschutzgesetz zu schaffen, noch keinen Gebrauch gemacht („Weitere – nach Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG grundsätzlich mögliche Sonderregelungen für Arbeitnehmer hat der Gesetzgeber (bislang) nicht getroffen„).

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass nach derzeitigem Rechtsstand möglicherweise auch Fremdgeschäftsführer und leitende Angestellte von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung erfasst sind. Es bleibt abzuwarten, ob und wann der deutsche Gesetzgeber von seiner Befugnis zur Regelung von Ausnahmen Gebrauch macht. Nicht unwahrscheinlich ist, dass er wenigstens die Ausnahmen aufnimmt, die bereits in § 18 vom Arbeitszeitgesetz ausgenommen sind (u.a. leitende Angestellte und Chefärzte).

7. Wie und wann muss die Arbeitszeit erfasst werden?

Auch hierzu hat der deutsche oder europäische Normgeber noch keine konkreten Vorgaben gemacht.  Der EuGH hatte in seinem Urteil vom 14.05.2019 vorgegeben, dass die Erfassung „verlässlich, objektiv sowie leicht zugänglich“ sein muss. Das BAG hat in seinem Urteil 13.09.2022 darauf hingewiesen, dass die Aufzeichnung „nicht ausnahmenlos zwingend elektronisch“ erfolgen müsse, sondern “ – je nach Tätigkeit und Unternehmen – Aufzeichnungen in Papierform genügen“ können.

Solange also der deutsche Gesetzgeber (das BMAS arbeitete im Moment an einem Gesetzesentwurf) noch nicht tätig geworden ist, sollte maßgebendes Kriterium sein, dass die Zeiterfassung „verlässlich, objektiv und leicht zugänglich“ ist.

Auch zu der Frage, innerhalb welchen Zeitraums die Arbeitszeiten erfasst werden müssen, gibt es noch keine Vorgaben. Es ist davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber auch hierzu eine Regelung treffen wird. Ob dann ähnlich strenge Fristen gelten, wie derzeit z.B. im Mindestlohngesetz („bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages“ § 17 Abs. 1 MiLoG) bleibt abzuwarten. Um den Sinn der Zeiterfassung zu gewährleisten sollte die Zeiterfassung sicherlich zeitnah zu den Arbeitszeiten erfolgen. Eine monatliche Zusammenstellung dürfte – solange der Gesetzgeber hier nichts anderes vorgibt – im Moment wohl ausreichend sein.

8. Darf der Arbeitgeber die Zeiterfassung an seine Mitarbeiter delegieren?

Nach derzeitigem Stand: Ja.

Das BAG hat in seinem Urteil 13.09.2022 ausdrücklich festgestellt, dass es für den Arbeitgeber „nach den unionsrechtlichen Maßgaben nicht ausgeschlossen, die Aufzeichnung der betreffenden Zeiten als solche an die Arbeitnehmer zu delegieren“. Um einen effektiven Schutz zu gewährleisten, wird der Arbeitgeber aber geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, die Aufzeichnungen der Arbeitnehmer nach möglichen Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz zu überprüfen.

9. Kann (weiterhin) Vertrauensarbeitszeit vereinbart werden?

Ja. Vertrauensarbeitszeit bedeutet, dass Arbeitnehmer eigenverantwortlich über Beginn und Ende der Arbeitszeit entscheiden können. Der Arbeitgeber vertraut darauf, dass die Arbeitnehmer dabei ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommen. Dem steht eine Dokumentation der Arbeitszeit nicht im Weg. Zur Gewährleistung des Arbeitsschutzes müssen die Arbeitszeiten nun allerdings aufgezeichnet werden, damit der Arbeitgeber die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes prüfen kann.

10. Was gilt bei mobiler Arbeit?

Die Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung gelten unabhängig vom Arbeitsort, also auch für mobile Arbeit oder Arbeiten im Homeoffice. Da mobile Arbeit immer mehr in Anspruch genommen wird und zu dieser Thematik noch viele Rechtsfragen offen sind, plant das BMAS hierzu neue gesetzliche Regelungen. Möglicherweise wird dabei die Erfassung der Arbeitszeiten geregelt.

11. Drohen Bußgelder für den Arbeitgeber?

Derzeit sind Verstöße gegen die vom EuGH entwickelte und vom BAG bestätigte Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung ordnungsrechtlich nicht sanktioniert. Dies liegt im Wesentlichen daran, dass die „Grundpflichten des Arbeitgebers“ in § 3 ArbSchuG sehr allgemein gehalten sind und ein Verstoß nicht automatisch zu einem Bußgeld führt. Zwar sieht das Arbeitszeitgesetz (§ 22 Abs. 1) Möglichkeiten vor, Bußgelder zu verhängen. Dies aber nur für Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz, z.B. bei Verstößen gegen die Verpflichtung zum Aushang des Arbeitszeitgesetzes oder der Aufzeichnung von Überstunden gem. § 16 ArbZG.

Ein Bußgeld könnte nur dann drohen, wenn die Behörde gegen den Arbeitgeber eine Anordnung zur Arbeitszeiterfassung erlassen hat und der Arbeitgeber dieser Anordnung nicht Folge leistet (§§ 25, 22 ArbSchuG).

Wenn Sie darüber hinaus Fragen haben, schicken Sie uns gern eine E-Mail (info@gssr.de) oder rufen uns an auf unserer Hotline für Arbeitsrecht: 0221-39924-20.