Der Bundesfinanzhof hat jetzt Zweifel an den gesetzlichen Regelungen zur Verzinsung von Steuernachzahlungen bzw. Steuererstattungen geäußert.
1. Vorentscheidungen
Mehrere Finanzgerichte haben im letzten Jahr entschieden, dass die bei Steuernachzahlungen durch die Finanzämter angesetzten Zinsen in Höhe von 6% pro Jahr rechtmäßig sind. Allerdings hatten die Finanzgerichte Zweifel an ihren Entscheidungen und haben die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen, um eine Überprüfung zu ermöglichen.
2. Bundesfinanzhof
Jetzt hat sich der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 25.4.2018, Az. IX B 21/18, zur Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungszinsen gemäß § 233a i.V.m. § 238 Abgabenordnung Stellung bezogen.
a. Aussetzung der Vollziehung
Der Bundesfinanzhof hatte zu entscheiden, ob dem Steuerpflichtigen eine Aussetzung der Vollziehung im Zusammenhang mit den durch das Finanzamt festgesetzten Zinsen für die Jahre 2015 bis 2017 gewährt werden muss oder nicht.
Unmittelbar nach der Bekanntgabe eines Steuerbescheides werden sowohl die festgesetzten Steuern als auch die Zinsen zur Zahlung fällig. Weder der Einspruch des Steuerpflichtigen gegen den Steuerbescheid (§ 361 Abs. 1 Abgabenordnung) noch seine Klage (§ 69 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung) gegen den Steuerbescheid führen zu einer Aussetzung dieser Zahlungsverpflichtung.
Daher war der Steuerpflichtige gezwungen, die Aussetzung der Vollziehung der Steuerbescheide zu beantragen. Dem Antrag ist stattzugeben, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides bestehen. Der Steuerpflichtige rügte aufgrund der Höhe der Zinsen, die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 238 Abgabenordnung.
Das Finanzamt und das Finanzgericht lehnte den Antrag ab. Zur Begründung führte das Finanzgericht aus, dass die von dem Steuerpflichtigen dargelegten verfassungsrechtlichen Zweifel an der Höhe der Zinsen keinen Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung begründen. Das öffentliche Vollzugsinteresse sowie das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung seien jedenfalls höher zu gewichten als ein mit Verweis auf anhängige Verfahren begründetes Aussetzungsinteresse.
b. Schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel
Der Bundesfinanzhof sah die Sache anders und äußerte schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, da die angegriffene Zinshöhe in § 233a Abgabenordnung i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO durch ihre realitätsferne Bemessung mit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz und das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz ergebende Übermaßverbot verstoßen.
Das Gericht stellte fest, dass der gesetzlich festgelegte Zinssatz angesichts der bereits eingetretenen strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße überschreitet. Das Niedrigzinsniveau stellt sich jedenfalls für den Streitzeitraum nicht mehr als vorübergehende, volkswirtschaftstypische Erscheinung verbunden mit den typischen zyklischen Zinsschwankungen dar, sondern ist struktureller und nachhaltiger Natur.
c. Sachliche Rechtfertigung
Eine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe besteht nach Ansicht der Richter ebenfalls nicht.
Der Gesetzgeber hat bei der Einführung der seit dem Jahr 1961 unveränderten Zinshöhe von 0,5 Prozent für jeden Monat durch § 5 Abs. 1 des Steuersäumnisgesetzes vom 13. Juli 1961 die Typisierung des Zinssatzes mit dem Interesse an Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung begründet. Solche Erwägungen können allerdings für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 angesichts des gänzlich veränderten technischen Umfelds und des Einsatzes moderner Datenverarbeitungstechnik bei einer Anpassung der Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i.S. des § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nicht mehr tragend sein
Zur Begründung verwies das Gericht beispielhaft auf die Regelungen wie in Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b Doppelbuchst. dd des Kommunalabgabengesetzes Bayern (KAG BY). Diese von der bayerischen Kommunalverwaltung anzuwendende Norm ist mit Wirkung ab dem 1. April 2014 dahingehend geändert worden, dass für den im Anwendungsbereich des KAG BY heranzuziehenden Zinssatz insoweit nicht mehr § 238 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung maßgebend ist, sondern die Höhe der Zinsen zwei Prozentpunkte über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB jährlich beträgt.
d. Höhe des Zinssatzes
Für die Höhe des Zinssatzes in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO fehlt es überhaupt an einer nachvollziehbaren Begründung. Ein potentieller Zinsnachteil des Fiskus, der den nicht gezahlten Steuerbetrag nicht anderweitig nutzen konnte, ist angesichts des sehr niedrigen und teilweise sogar negative Zinssätze ausweisenden Refinanzierungsniveaus am Kapitalmarkt nahezu ausgeschlossen.
Auch das Argument, dass die Zinsen bei einer Erstattung durch den Fiskus an den Steuerpflichtigen gezahlt werden, ließ das Gericht nicht gelten. Das Argument, ist nicht geeignet, die realitätsferne Zinshöhe des § 238 AO zu rechtfertigen. Denn der Zinssatz für Erstattungsansprüche ist mit Blick auf das strukturelle Niedrigzinsniveau während des Streitzeitraums in gleicher Weise als nicht realitätsgerecht anzusehen.
3. Entscheidung des Bundesfinanzhofs
Nach der Auffassung des Bundesfinanzhofs bestehen daher bei der gebotenen summarischen Prüfung schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel und das Gericht gewährte die Aussetzung der Vollziehung.
Praxishinweise
– Es bleibt jetzt abzuwarten, ob das Bundesverfassungsgericht die gesetzlichen Vorschriften ebenfalls für verfassungswidrig erklärt.
– Es sollte jetzt gegen alle Steuerbescheide, die den Steuerpflichtigen mit Zinsen belasten, Einspruch eingelegt werden.